Damit kann Ärzten geholfen werden
Gründer-Geheimnis Hellstern Medical: Weltweite Innovation made in Germany
Featured image: Hellstern Medical
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Wenn die Menschen sich Ärzte und Operationen vorstellen, erscheint oft ein Bild von Ärzten in Fernsehserien. Vor allem die Darstellungen von Operationen bleiben da im Gedächtnis. Da werden oft ganze Tage für Operationen genutzt und die Ärzte sind nach 16-Stunden Operationen noch fast frisch. So ist es tatsächlich aber meist nicht. Chirurgen müssen viele Stunden in bestimmten Positionen verharren, damit sie einerseits effizient operieren können und andererseits dem Patienten nicht schaden. Das hat aber zur Folge, dass die Chirurgen auf lange Sicht körperliche Schäden davon tragen. Das ist ein großes Problem, dem sich Sabrina Hellstern, CEO, und Claudia Sodha, CFO, angenommen haben. Gemeinsam haben sie Hellstern Medical in Wannweil bei Stuttgart gegründet und noac entwickelt. Damit revolutionieren sie die Medizingeschichte. In unserem Gründer-Geheimnis erzählen sie von ihrem Gründungsweg und teilen ihre Learnings und Tipps für angehende Gründer.
Phase 1 – Ideenfindung
Wie genau entstand die Geschäftsidee für Hellstern medical?
Die Idee ist aus persönlichem Kontakt zu verschiedenen Chirurgen im Rahmen der Arbeit im medizinischen Vertrieb entstanden. Sie waren sehr frustriert über ihre aktuelle Situation, denn während ihrer teils stundenlangen Operationen müssen Chirurgen unnatürliche Körperhaltungen einnehmen, die einerseits zu Muskelermüdung und einem Leistungsabfall über den Tag hinweg führten. Andererseits wirken sie sich auch langfristig aus und verursachen Muskel- und Skeletterkrankungen bei den Chirurgen. Um damit zurechtzukommen, nehmen 40 Prozent daher regelmäßig Schmerzmittel ein. Eine wirkliche Lösung dafür gab es allerdings nicht, vielmehr operieren Chirurgen noch wie vor 150 Jahren.
In diesem Moment wurde mir deutlich bewusst, dass hier etwas getan und eine Lösung gefunden werden muss, um einerseits die kurz- und langfristige Gesundheit der Operierenden zu gewährleisten, aber auch, um Operationen für Patienten sicherer zu gestalten. Gemeinsam mit unserem Team haben wir dann direkt losgelegt und in enger Zusammenarbeit mit Chirurgen, Ingenieuren und Robotikspezialisten in nur 15 Monaten noac entwickelt. noac ist das weltweit erste sensorgesteuerte Exoskelett für den Einsatz im OP, patentiert und zertifiziert als Medizinprodukt. Wir haben alle erkannt, dass es hier darum geht, ein riesiges, echtes Problem zu lösen.
Wie lief die Namensfindung ab? Warum habt ihr euch für “Hellstern medical” entschieden?
Die Namensfindung war im Fall von Hellstern medical eher unspektakulär. Da Hellstern mein Nachname ist, stand der Name unseres Startups relativ schnell fest.
Anders war es bei der Namensfindung unseres Produktes noac. Wir wollten einen kurzen, einprägsamen Namen, der auch verständlich macht, dass es eben nicht eine wieder abgewandelte Form einer bestehenden Lösung ist. So sind wir irgendwann bei noac gelandet. Der Name noac steht für ‚no ache”, also “kein Schmerz”. Unser System ist etwas komplett Neues. noac bietet hohe Bewegungsfreiheit, folgt sensorgesteuert den Bewegungen der Chirurgen und ist handsfree bedienbar – für präzise Eingriffe.
Wie und wann habt ihr erkannt, dass es sich um ein lukratives Geschäftsmodell handelt?
Natürlich müssen sich Geschäftsmodelle früher oder später auch monetär tragen, um erfolgreich zu sein. Für uns stand die große Vision, Menschenleben zu retten, allerdings immer im Vordergrund. Nichtsdestotrotz ist das Marktpotenzial groß: Alleine in Deutschland finden jährlich zirka 16 Millionen Operationen statt – und noac deckt 99 Prozent dieser Operationen ab. Zudem steht Chirurg:innen nach den Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes eine ergonomische Arbeitsumgebung – und damit noac – zu. noac wurde gemeinsam mit Chirurgen und genau auf deren Bedürfnisse hin entwickelt, aber auch für Kliniken selbst bietet noac enorme Einsparpotenziale. Sie sparen sich Kosten durch ausfallende OPs oder Behandlungsfehler und haben mit noac eine Lösung, die – im Gegensatz zu Nischenlösungen wie dem Da Vinci Roboter – zwanzigmal günstiger ist.
Phase 2 – Planung
Wie habt ihr euch informiert? Wie habt ihr euch bei der Planung unterstützen lassen?
Für uns war es sehr wichtig, von Anfang an Menschen mit fundierter Expertise für unsere verschiedenen Geschäftsbereiche an Bord zu wissen. Damit wir ganz konkret und zielgerichtet auf die Anforderungen in der Chirurgie eingehen können, haben uns einige der renommiertesten Chirurgen Deutschlands mit ihrem Input und ihrem Feedback über den gesamten Weg von der Entwicklung bis zum Prototypen unterstützt. Für die technische Entwicklung haben wir zwei Maschinenbau- und IT-Ingenieure gewinnen können, die noac zur Serienreife geführt haben. Und mit meiner Kollegin Claudia Sodha hat das Team eine Expertin mit viel Erfahrung im Bereich Unternehmensstrategie und Finanztaktik gewonnen.
Wie habt ihr den Businessplan für Hellstern Medical erstellt?
Unser Businessplan hatte einen Leitsatz: Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, unser Startup so zu leiten, als wären wir ein Großkonzern. Das heißt trotz Startup-Budget vor allem: Professionell und groß denken, klare Ziele und Deadlines setzen und eine durchdachte Strategie entwickeln. Im Nachhinein können wir sagen, dass wir daraus viel in Bezug auf das Projektmanagement dazugelernt haben. Es herrscht immer ein gewisses Spannungsfeld zwischen Technik und Wirtschaftlichkeit. Während die Entwicklung ein perfektionistisches Produkt entwickeln möchte, müssen wir auch Markt und Business im Blick behalten und ausreichend schnell und wirtschaftlich denken und handeln. Heute wissen wir noch besser, wie man diese verschiedenen Visionen koordinieren und vereinen kann.
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Welche Schritte standen noch an, bis noac marktreif war?
2019 haben wir mit der Umsetzung unseres ersten Prototyps begonnen und diesen dann kontinuierlich weiterentwickelt. Ende 2019 stand dann der erste Wirksamkeitsnachweis an, im Rahmen einer randomisierten Crossover Studie der Neurologie und Arbeitsmedizin an der Universitätsklinik in Tübingen. Auch die Patentanmeldung war ein wichtiger organisatorischer Schritt, den wir 2020 gegangen sind. Im selben Jahr haben wir unsere Pre-Seed Finanzierung erhalten und die Marke noac eingetragen. Anfang 2021 haben wir dann das Patent auf das Herzstück von noac erhalten. Bei Medizinprodukten gibt es natürlich noch weitere wichtige Schritte, wie beispielsweise der First Human Trial, den wir wieder an der Universitätsklinik in Tübingen durchgeführt haben. Fast noch essenzieller war allerdings die erfolgreiche Zertifizierung als Medizinprodukt. Einer der letzten großen Schritte war unsere erfolgreiche Seed-Finanzierung in Höhe von 3,2 Millionen Euro.
Phase 3 – Gründung
Wie viel Potenzial besitzt diese Branche, warum sollten angehende Gründer in dem Bereich neue Konzepte entwickeln?
Wir rechnen aktuell mit einem Zielmarkt von über 70.000 OP-Sälen im deutschsprachigen Raum und in den USA – hier kann noac in 99 Prozent der Operationen eingesetzt werden. Was besonders erschreckend ist: Während die Industrie beispielsweise bereits hoch technologisiert ist, arbeiten Chirurgen noch immer wie vor 150 Jahren. Wir wollen Operationen ins 21. Jahrhundert bringen und die Bedingungen für Operierende, Patienten und Kliniken gleichermaßen verbessern. Hier geht es um Innovation, die Menschenleben retten kann – ein größeres Potenzial lässt sich nur schwer finden.
Welche Vorteile bietet ein (Online-)Business für euch als Gründer?
Der größte Vorteil ist, dass wir unserer Vision nachgehen können: Menschenleben retten. Es ist eine große Herausforderung, eine solche Innovation für die Gesundheitsbranche zu entwickeln. Wir müssen die Welten von Ärzten, Ingenieuren und Informatikern zusammenführen, was nicht immer einfach ist. Daher bleiben wir so lange bei den Chirurgen und Patienten am OP-Tisch, bis wir sagen können: Diese Operation ist besser gelaufen, weil wir hart dafür gearbeitet, Perfektion und Leistung gebracht haben.
Beim Gründen läuft nicht immer alles glatt: Welche Fehler habt ihr gemacht?
Auch wir wurden in der Vergangenheit vor Herausforderungen gestellt. Die europäische Medizinprodukte-Verordnung hat uns definitiv vor eine unserer Größten gestellt. Hier gibt es wirklich hohe Hürden, die man selbst in den niedrigen Risikoklassen erfüllen muss – das kostet natürlich Zeit und finanzielle Ressourcen. Auch die Finanzierung war eine Herausforderung für uns. Sabrina ist alleine und ohne Budget gestartet, hat das Familienauto verkauft und eine Hypothek auf ihr Haus aufgenommen, um Startkapital zur Verfügung zu haben. Wir haben uns um verschiedene Fördermittel bemüht, sind dabei aber fast immer durch das Raster gefallen – weil wir bereits zu weit in der Entwicklung oder schon zu professionell aufgestellt waren. Dennoch haben alle Gründungsmitglieder so sehr an die Idee und ihr Potenzial geglaubt, dass sie in der Anfangszeit komplett auf Gehalt verzichtet haben. Bis zu unserem ersten Fundraising 2021 haben wir also komplett gebootstrapped. Dann haben wir eine 3,2 Millionen Euro Finanzierung erfolgreich abgeschlossen.
Phase 4 – Wachstum
Welche Meilensteine habt ihr mit Hellstern Medical schon erreicht?
Einer unserer größten Meilensteine war unser erstes Fundraising. 2021 konnten wir dadurch 3,2 Millionen Euro einsammeln. Seit Anfang 2023 haben wir nun auch die Zertifizierung für noac, das war definitiv auch ein wichtiger Meilenstein. Jetzt geht es darum, das Projekt noac weiter voranzutreiben und in so viele Kliniken wie möglich zu integrieren. Zukünftig wird im Wettbewerb um Fachkräfte aber auch die ergonomische Ausstattung des OP eine Rolle spielen. Eine Klinik mit noac hat dann klare Vorteile. noac soll aber nicht unser einziges Projekt bleiben. Gemeinsam mit unserem Team haben wir schon weitere Ideen für wichtige MedTech Produkte gesammelt. In ein paar Jahren wollen wir die Nummer eins der Exoskelette für Chirurgen sein.
Was macht Hellstern Medical so besonders?
noac ist ein Exoskelett für Chirurgen. Weltweit gibt es kein anderes sensorgesteuertes Exoskelett wie noac und wir decken mit ihm 99 Prozent der OP-Situationen ab – damit ist noac an sich schon ein Alleinstellungsmerkmal.
Schaut man sich andere Technologien an, die in Operationen verwendet werden, dann ist noac deutlich effizienter. Ein kurzer Vergleich: Das sterile Überziehen eines Da Vinci Roboter – das ist ein roboter-assistieres Chirurgiesystem – kostet Kliniken beispielsweise so viel wie noac ein bis zwei Monate lang zu leasen. Bislang bieten andere Produkte auf dem Markt nicht die gewünschte Entlastung, da sie unflexibel und zu einschränkend während der OP sind. Bei noac ist das völlig anders. Chirurgen können sich durch ein sensorgesteuertes System, das sich optimal auf alle Körpermaße einstellt, in jede gewünschte Position begeben. Dabei wird nicht nur die Beinmuskulatur, sondern auch der Oberkörper bis zu 100 % entlastet. Die automatische Steuerung folgt der Körperbewegung und ist handsfree.
Auch ein großer Vorteil, da die sterilen Instrumente zu keinem Zeitpunkt aus der Hand gelegt werden müssen. Das Haltesystem von noac haben wir patentieren lassen. noac sorgt so durch seinen Entlastungseffekt während der ganzen OP für volle Konzentration auf den Patienten. Ein weiterer Vorteil ist die höhere Effizienz gegenüber anderen Technologien. Außerdem kann sich noac dank seiner Mecanum-Räder – ähnlich wie ein Luftkissenboot – in zwei Dimensionen völlig frei bewegen. Es ist die neue Freiheit im OP.
Welche geheimen Tipps könnt ihr angehenden Gründern geben?
Auch wenn unsere Erfahrung zeigt, dass Gründer es oft einfacher haben als Gründerinnen, sind wir uns sicher, dass Gründerinnen genauso viel bewegen können! Wir beide gehören zu dem einen Prozent aller Gründerinnen in der europäischen Medtech-Branche, die es geschafft haben, über 1 Million Euro im Fundraising zu generieren. Daher unsere drei Tipps: Glaubt an euch und eure Vision, kombiniert wirtschaftliches Denken mit gesellschaftlicher Verantwortung und traut euch!
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Über den Autor
Lea Minge
Lea ist bei Gründer.de für die täglichen News zuständig. Im Bereich Wirtschaft, Startups oder Gründer hat sie den Überblick und berichtet von den neuesten Trends, Entwicklungen oder Schlagzeilen. Auch bei der Sendung “Die Höhle der Löwen” ist sie eine wahre Expertin und verfolgt für unsere Leser jede Sendung. Damit kennt sie die wichtigsten DHDL-Startups, -Produkte und Informationen zu den Jurymitgliedern. Daneben hat sie immer einen Blick auf die neuesten SEO-Trends und -Anforderungen und optimiert fleißig den Content auf Gründer.de. Neue Ideen für Texte bleiben da nicht aus. Schon früh interessierte sie sich fürs Schreiben, weshalb sie ein Studium in Germanistik und Kommunikations- und Medienwissenschaft in Düsseldorf absolvierte. Nach Abschluss ihres Bachelors macht sie seit Oktober 2022 ihr Volontariat in der Online-Redaktion von Gründer.de.