Niclas Storz im Interview
Gründer-Geheimnis: Liquidität im Blick mit tidely
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tidely-Gründer Niclas Storz kommt ursprünglich aus der Banken-Branche. Fast 25 Jahre hat er als Unternehmensberater weltweit Banken bei der digitalen Transformation unterstützt. Doch die Position als Senior Partner bei der Boston Consulting Group tauschte er 2021 gegen die des CEOs des FinTechs tidely. Nun hilft er kleineren Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Finanzen. Mit dem Tool haben KMUs ihre Ein- und Auszahlungen im Blick, sodass sie Entscheidungen fundiert auf ihren eigenen Zahlen und Prognosen treffen können.
Heute hat das Unternehmen einen Annual Recurring Revenue (ARR), also einen jährlich wiederkehrenden Ertrag, von 500.000 Euro im Jahr. Ende des Jahres ist sogar ein ARR von 1,5 Millionen Euro geplant. In einer Seed-Runde konnte das Startup außerdem 3,5 Millionen Euro von TX-Ventures und Bayern Kapital einsammeln. Für Anfang 2024 ist eine Series-A-Runde geplant. Mit den Einnahmen daraus will das Startup seine Expansion vorantreiben.
Phase 1 – Ideenfindung
Wie genau entstand die Geschäftsidee für tidely?
In meiner Zeit bei BCG habe ich verstanden, wie schwer sich etablierte Häuser bei der Umsetzung der digitalen Transformation tun. Das hat aus meiner Sicht zu einer Vernachlässigung im Angebotsbereich gerade für KMU gesorgt. Große Häuser haben die Probleme der Unternehmen nicht mehr ausreichend verstanden. Mit diesem Hintergrund sind wir im Gründungsteam 2020 auf über 70 kleine bis mittelgroße Unternehmen zugegangen und haben diese nach ihren Kernproblemen in Finanzfragen gefragt. Das Thema Liquiditätsmanagement, also der genaue Überblick über die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, wurde von allen Unternehmen als die größte Herausforderung genannt. Aus diesem Grund sind wir angetreten, eine moderne, intuitive und zugleich professionelle Lösung in diesem Bereich zu schaffen.
Wie lief die Namensfindung ab? Warum habt ihr euch für “tidely” entschieden?
Der Name “tidely” ist ein Wortspiel, das sich aus den folgenden drei angelsächsischen Begriffen zusammensetzt: “Tide” (Gezeiten), “Timely” (rechtzeitig) und “tidy” (aufgeräumt). Die Kombination dieser drei Begriffe spiegelt für uns die wesentlichen Herausforderungen eines guten Liquiditätsmanagement wider. Zahlungsströme kommen und gehen, man muss aber jederzeit und vor allem rechtzeitig darauf reagieren, sodass alles immer aufgeräumt ist.
Wann habt ihr erkannt, dass es sich um ein lukratives Geschäftsmodell handelt?
Wir sind natürlich von vornherein mit der Hypothese gestartet, mit unserem Produkt erfolgreich sein zu können. Die Tatsache, dass alle von uns Anfang 2020 interviewten Unternehmen die Steuerung ihrer Liquidität als die zentrale Herausforderung genannt hatten, war sicher ein weiterer sehr klarer Beleg für unsere Annahme und starker Antriebsmotor für uns. Aktuell basiert unsere Lösung auf einem klassischen cloudbasierten SaaS-Modell, in dem Unternehmen je nach Größe und Nutzungsanforderung zwischen drei Tarifen auswählen können. Zukünftig wollen wir durch weitere Dienstleistungen und Services sowie mit Hilfe von strategischen Partnerschaften unsere Geschäftsmodell weiter ausbauen. Erste Umsetzungen mit strategischen Partnern wie Banxware (Embedded Finance Lösung für E-Commerce-Kunden) und abcfinance (Factoring) laufen bereits sehr erfolgreich an.
Phase 2 – Planung
Welche Tipps habt ihr für angehende Gründer im Bereich Businessplan?
Unsere Businessplan basiert auf den drei Kernelementen: Marktgröße, adressierbarer Markt und Wettbewerbsintensität. Uns ist schnell deutlich geworden, dass der überwiegende Teil der Unternehmen in Deutschland und Europa in die Kategorie der kleinen bis mittelgroßen Unternehmen fällt – also unserem Zielkundensegment entspricht. In Deutschland sind es über 99,5 Prozent und in Europa im Schnitt über 98 Prozent. Auch wenn man einen hohen Diskontierungsfaktor ansetzt – d.h. nicht alle Unternehmen im KMU-Umfeld werden bereit sein, für eine solche Software zu zahlen – so verbleiben in Deutschland sicher deutlich über eine Millionen mögliche Kunden und in Europa knapp 10 Millionen potenzielle Kunden. Das Angebot für Lösungen des Liquiditätsmanagements ist dabei recht überschaubar. Wir gehen davon aus, dass es neben tidely eine Handvoll alternativer Lösungen gibt. Mich persönlich hat das sehr erstaunt, da wir uns in Zeiten starker makroökonomischer Verwerfungen befinden und jedes Unternehmen ein professionelles Tool bei der Steuerung seines Cashflows einsetzen sollte. Interessanterweise nutzen alle immer noch Excel.
Wie seid ihr in die konkrete Umsetzung des Businessplans gestartet?
In den ersten Monaten haben wir durch viel Experimentieren bei unseren Social-Media-Kampagnen Erfahrungen bzgl. der Conversion von Kunden sammeln können, diese Erfahrung ist dann in die Modellierung unserer Erträge eingegangen. Ich würde allen Teams immer empfehlen, die Businesspläne stark “Top-Down” zu modellieren. Aus meiner Beratungszeit weiß ich, dass man sich oft im Detail verliert und die Qualität eines Businessplans wird sicher nicht besser, wenn man versucht, zu früh in die Details einzusteigen. Natürlich muss man die Grunddynamik eines Geschäftsmodells im Businessplan abbilden – aber eben eher auf einer aggregierten Ebene. In unserem Falle heißt das eben SaaS-Modell mit Subscriptions.
Welche Schritte standen noch an, bis tidely online ging?
Nach dem Startschuss Mitte 2020 haben wir uns für die folgenden 6 Monate (Phase 1) auf die Programmierung des Prototypen konzentriert. Dafür haben wir ein kleines Tech-Team von Entwicklern angestellt – anfangs als Freelancer und später dann als Festangestellte. Während der Prototyperstellung haben wir drei Pilotkunden an Bord gehabt, die uns erläutert haben, welche Bedürfnisse und Wünsche sie hinsichtlich eines Tools für die Liquiditätssteuerung hätten. Anfang 2021 sind wir in die nächste Phase 2 eingestiegen und haben den Protoytpen über Social-Media-Kampagnen in den Markt gebracht. Diese zweite Phase haben wir im Rahmen eines “Freemium”-Modells und als Public-Beta aufgesetzt. Das bedeutet, dass wir tidely allen Kunden im Markt als kostenlose Variante zur Verfügung gestellt haben.
Wieso habt ihr diesen Schritt gewagt?
Ziel dieser Phase war es, so viele Kundenstimmen wie möglich einzusammeln, um den Prototypen auf die nächste Stufe heben zu können, also ein “marktreifes” Produkt zu erzielen. Dies ist uns nach weiteren knapp neun Monaten gelungen, so dass wir in Q4 2021 dann in die Phase 3 eingestiegen sind und das “Fremium”-Modell gegen ein klassisches “Premium”-Modell abgelöst haben. Von dem Zeitpunkt an haben wir tidely nicht mehr kostenlos, sondern gemäß der drei Tarifvarianten angeboten. Die weiter sehr hohe Resonanz und das starke Kundenwachstum in 2022 haben uns zum einen deutlich gemacht, wie relevant unsere Software für ein Kernproblem der Unternehmen ist. Zum anderen aber auch, dass Unternehmen durchaus bereits sind, für eine exzellente Lösung Geld zu bezahlen, da der Mehrwert in der Nutzung eines Tools wie tidely eindeutig gesehen und erfahren wird.
Phase 3 – Gründung
Wie viel Potenzial besitzt diese Branche, warum sollten angehende Gründer in dem Bereich neue Konzepte entwickeln?
In Deutschland gibt es über drei Millionen Unternehmen und in Europa sind es bis zu 30 Millionen Adressen. Diese Zahlen und die Tatsache, dass nahezu alle diese Unternehmen kein professionelles Tool für die Liquiditätssteuerung einsetzen, belegen das sehr attraktive Marktumfeld und -potenzial für eine Lösung für tidely. Unsere Kernzielgruppe dabei sind kleine bis mittelgroße Unternehmen bis zu 250 Mitarbeitern – das macht über 99,5% der Unternehmen in Deutschland aus und über 98% in Europa. Gerade hier ist das Thema Liquiditätsmanagement noch nicht genügend in den Köpfen verankert. Dabei sollte es die Kerndisziplin sein, um ein gesundes Unternehmen zu führen. Bisher gibt es in diesem Bereich keine vernünftige Lösung, das wollen wir ändern.
Welche Vorteile bietet ein Online-Business für euch als Gründer?
Meiner Meinung nach spielt die Agilität die entscheidende Rolle. Wir können viel schneller auf Wünsche und Anforderungen unserer Kunden und im Marktumfeld reagieren. Das ist aus meiner Sicht auch entscheidend für den langfristigen Erfolg. Sei es die schnelle Implementierung weiterer Funktionen oder die Anbindung von Partnern wie Banxware. Auf die Integration der Banxware Embedded-Finance Lösung für E-Commercew sind wir besonders stolz. Innerhalb nur eines Quartals (Q1 2023) ist es uns gelungen, das integrierte Angebot in tidely umzusetzen und können unseren E-Commerce Kunden nun ein umfassendes Tool zur Planung und aktiven Steuerung ihrer Liquidität bieten.
Beim Gründen läuft nicht immer alles glatt: Welche Fehler habt ihr gemacht?
Die letzten drei Jahre waren eine sehr spannende Erfahrung für uns als Team, aber auch für mich persönlich. Auf dieser Reise haben wir einige Fehler gemacht, manchmal waren es Größere, manchmal eher Kleinere. Es ist schwer, dabei einzelne Themen hervorzuheben. Eines ist mir aber noch in Erinnerung geblieben, weil es für mich eine tolle Lernerfahrung war. Gerade im ersten Jahr 2021 haben wir versucht, das Team zu schnell aufzubauen. Das zu schnelle Wachstum hat aber zu einer fehlenden Steuerung des Teams geführt, was wiederum mit einigen Wochen Verzug zu Qualitätsthemen geführt hat. Sicher hat meine damalige Ungeduld als ehemaliger Berater einen Einfluss auf diese falsche Entscheidung gehabt – ich musste selbstkritisch zugeben, dass ich die Warnungen nicht ernst genug genommen hatte und zu ungeduldig war. Mittlerweile habe ich das gelernt und wir gehen die Dinge behutsamer an. Es hat sich wieder einmal der Spruch bewahrheitet: “Langsam starten, um schnell zu sein” bzw. “Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht”.
Phase 4 – Wachstum
Was macht tidely so besonders?
Wir als tidely verstehen uns als zentrale Schaltzentrale des Finanzmanagements und wollen bewusst keine “eierlegende Wollmilchsau” anbieten, sondern uns auf Steuerungsfragen konzentrieren. Aus diesem Grunde fokussieren wir uns auf die Planung und das Management der Liquidität. Sobald es in die aktive Steuerung der Liquidität geht, integrieren wir Produktpartner wie z.B. Banxware oder abcfinance in tidely. Wir wollen selbst die Champions bei Liquidität und Profis bei der Integration weiterer Lösungen sein. Kunden aus dem KMU-Umfeld sollen morgens als einzige Finanzlösung tidely öffnen und aus tidely heraus alles machen können – aber eben auf Basis eines perfekt integrierten Modells. Damit unsere Kunden im täglichen Arbeiten diese Erfahrung machen können, spielen drei Kernelemente in der Umsetzung eine entscheidende Rolle: (1) tidely soll maximal intuitiv in der Nutzung sein, (2) tidely soll individuell und maßgeschneidert für die Kunden sein und (3) tidely solle maximale Insights liefern. Hierfür haben wir ein einzigartiges Dashboard entwickelt, welches u. a. auch mit Hilfe von KI automatische Forecast-Analysen erzeugen und Handlungsempfehlungen geben kann.
Welche Marketing-Kanäle habt ihr bisher genutzt?
Wir sind klassisch mit dem Paid-Ansatz gestartet, d. h. wir spielen über Social-Media unsere Kampagnen aus und gewinnen dadurch Traffic auf der Website. Dieser Ansatz funktioniert sehr gut und wir sind sehr zufrieden mit den KPIs entlang des gesamten Funnels. Natürlich werden wir zunehmend weitere Marketing-Kanäle bespielen. Hierzu zählen wir zum Beispiel Vertriebs- und Produktpartnerschaften. Während die Projektpartnerschaften in erster Linie einen indirekten Effekt auf die Marktdurchdringung haben, stellen die klassischen Vertriebspartnerschaften natürlich einen sehr direkten Hebel dar. Bei den Vertriebspartnerschaften ist aber wichtig, dass man einen ausbalancierten Partnerschaftsansatz verfolgt, sodass beide Seiten gleichermaßen profitieren können. Es geht im Kern um die Gestaltung einer “Win-Win”-Sitution für beide Seiten. Über die Vertriebspartnerschaften hinaus haben wir in tidely auch ein Referral-Programm aufgesetzt, in dem unsere Kunden selber Kunden werben können. Abschließend bespielen wir natürlich den Markt mit unserer Expertise und Know-how, um über diesen Hebel langfristig interessierte Kunden zu gewinnen.
Welche geheimen Tipps kannst du angehenden Gründern geben?
Es ist sehr schwierig, auf einzelne Tipps einzugehen. Übergeordnet möchte ich aber gerne auf ein Thema im Besonderen eingehen. Auch wir haben viele Lehrstunden gehabt, in denen wir Dinge versucht haben, die dann nicht so geklappt haben, wie wir uns das vorgestellt hatten. Manchmal war das auch sehr schmerzhaft, nicht nur aus einer finanziellen Betrachtung heraus, sondern auch, weil viel Herzblut und Passion hineingeflossen ist. Das Entscheidende ist aber gewesen, dass wir uns als Team nie haben entmutigen lassen. Wir haben uns immer kritisch mit der Frage auseinandergesetzt, warum die Umsetzung nicht so geklappt hat, wie wir uns das erhofft hatten, und was wir aus dem “Scheitern” lernen können. Ich glaube, dass hat es uns ermöglicht, schnell zu lernen und Fehler möglichst nur einmal zu machen. Als Berater habe ich auch immer davon gesprochen, dass es wichtig ist, aus Fehlern zu lernen … aber erst jetzt durfte ich diese Erfahrung “live” machen. Mit einem tollen Team meistert man jede Herausforderung. Ich bin sehr happy, dass wir bei tidely ein so tolles Team haben und bin gleichzeitig auch sehr demütig, Teil dieses Team sein zu können!
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Über den Autor
Luisa Färber
Luisa macht seit Februar 2022 ihr Volontariat in der Online-Redaktion von Gründer.de. Hier ist sie immer auf der Suche nach den neusten Startups mit bahnbrechenden Ideen und spannenden Businessmodellen. Ob Nachhaltigkeit, Food oder FinTech – Luisa recherchiert und schreibt über die Unternehmen von morgen! Außerdem ist sie mitverantwortlich für unsere Kooperationen und bringt Gründer.de auch als Marke voran. Ursprünglich kommt sie aus einem kleinen Dorf in Oberfranken und entschied sich nach dem Abitur für ein Studium der Angewandten Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau in Thüringen. Nach ihrem Bachelor, in dem sie ihre Leidenschaft für die redaktionelle Arbeit entdeckte, hat es sie nun nach Köln und in die Redaktion von Gründer.de verschlagen.